9. Februar 2023
Arbeitsrecht

Besser spät als nie: Das Hinweisgeberschutzgesetz auf der Zielgeraden

Hinweisgeberschutz wird Gesetz

Nachdem bereits seit Jahren über die Umsetzung der EU-Hinweisgeberrichtlinie (EU 2019/1937)  diskutiert  wurde, befindet sich das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) nun auf der Zielgeraden. Es passierte den Rechtsausschuss und wurde vom Bundestag verabschiedet. Nun muss der Bundesrat dem Gesetz noch zustimmen. Inkrafttreten wird das Gesetz drei Monate nach dessen Verkündung, voraussichtlich im April oder Mai 2023.

Ziel des Gesetzes ist es, natürliche Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße (gegen einen begrenzten Katalog an Normen) erlangt haben und diese an die nach diesem Gesetz vorgesehenen Meldestellen melden oder offenlegen (hinweisgebende Personen, oder dem internationalen Kontext folgend „Whistleblower“), künftig besser zu schützen. Denn der bislang in Deutschland bestehende Schutz für hinweisgebende Personen ist lückenhaft und unzureichend und so schweigen Beschäftigte oftmals aus Angst vor beruflichen Konsequenzen. Und das, obwohl gerade sie es sind, die Missstände, wie beispielsweise Korruption und Steuerbetrug, als erste entdecken und durch eine Meldung oder Offenlegung auch im Interesse der Unternehmen dazu beitragen könnten, dass Gesetzesverstöße entdeckt und unterbunden werden.

Der durch das HinSchG bezweckte verbesserte Schutz der hinweisgebenden Personen soll durch ein einheitliches Schutzsystem erreicht werden, dessen zentrale Elemente interne und externe Meldestellen und das Verbot von Repressalien sind.

2. Was ist bisher geschehen?

Die dem Gesetz zugrundeliegende EU-Hinweisgeberrichtlinie (EU 2019/1937) hätte bereits bis zum
17. Dezember 2021 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Da sich die Vorgängerregierung jedoch nicht auf einen gemeinsamen Weg zur Umsetzung einigen konnte, ist die Frist ohne entsprechendes deutsches Umsetzungsgesetz verstrichen. Die EU-Kommission hat deshalb im Februar letzten Jahres ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Für Deutschland droht eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.

Die neue Bundesregierung hat am 27. Juli 2022 einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Richtlinie beschlossen, den der Bundestag am 29. September 2022 in erster Lesung beraten hat. Am
14. Dezember 2022 passierte der Entwurf den Rechtsausschuss, nachdem es unter anderem zum Umgang mit anonymen Meldungen noch Änderungen gegeben hatte. Am 16. Dezember 2022 hat nun auch der Bundestag das Gesetz verabschiedet.

Was beinhaltet das Hinweisgeberschutzgesetz?

  • Anwendungsbereich: Der persönliche Anwendungsbereich des HinSchG ist weit gefasst. Er umfasst Arbeitnehmer und Beamte, aber auch Selbstständige, Anteilseigner, Praktikanten, Mitarbeiter von Lieferanten und sogar  Personen, die sich in einem vorvertraglichen Stadium befinden.

    In den sachlichen Anwendungsbereich fallen die Meldung und Offenlegung von Informationen über Verstöße, die strafbewehrt sind, über Verstöße, die bußgeldbewährt sind, soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient. Zudem ist der sachliche Anwendungsbereich auch für Hinweise auf sonstige Verstöße gegen Rechtsvorschriften des Bundes, der Länder und unmittelbar geltende Rechtsakte der Europäischen Union aus bestimmten Regelungsbereichen eröffnet, wie beispielsweise Vorschriften mit Vorgaben zum Umweltschutz oder zur kerntechnischen Sicherheit. Auch die Meldung verfassungsfeindlicher Äußerungen von Beamten fällt unter das Hinweisgeberschutzgesetz.
  • Einrichtung von Meldestellen: Kernstück des Hinweisgeberschutzsystems ist die Einrichtung interner und externer Meldestellen, die die eingehenden Meldungen überprüfen und dann Folgemaßnahmen ergreifen müssen.

    So haben Beschäftigungsgeber mit mehr als 50 Beschäftigten dafür zu sorgen, dass mindestens eine Stelle für interne Meldungen eingerichtet ist und betrieben wird. Dies gilt sowohl für Beschäftigungsgeber im öffentlichen Sektor als auch für Beschäftigungsgeber in der Privatwirtschaft. Beschäftigungsgeber mit mehr als 249 Beschäftigten haben eine solche Stelle bis zum Inkrafttreten des Gesetzes einzurichten, Unternehmen mit weniger Beschäftigten haben hierfür Zeit bis zum 17. Dezember 2023. Für letztere besteht auch die Möglichkeit der Einrichtung einer gemeinsamen Meldestelle. Für Gesellschaften von Konzernen besteht ebenfalls die Möglichkeit der Einrichtung einer gemeinsamen Meldestelle. Zudem ist es möglich, die Meldestelle an eine externe Ombudsperson, wie beispielsweise eine Anwaltskanzlei, auszulagern.

    Das Bundesamt für Justiz richtet eine externe Meldestelle ein. Zudem können die Länder eigene externe Meldestellen einrichten. Die bereits etablierten Hinweisgebersysteme beim Bundeskartellamt und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht werden als externe Meldestellen mit Sonderzuständigkeit weitergeführt.
  • Genaue Ausgestaltung und Fristen: Die Meldestellen müssen es den hinweisgebenden Personen ermöglichen, Hinweise mündlich, schriftlich und auf Wunsch der hinweisgebenden Person auch persönlich abgeben zu können. Die Meldestellen müssen der hinweisgebenden Person den Eingang der Meldung innerhalb von sieben Tagen bestätigen und die hinweisgebende Person innerhalb von drei Monaten darüber informieren, welche Folgemaßnahmen ergriffen wurden.
  • Freie Wahl der Meldestelle: Hinweisgebende Personen können frei wählen, ob sie sich an eine interne oder externe Meldestelle wenden. Beschäftigungsgeber sollen allerdings Anreize dafür schaffen, dass sich die hinweisgebenden Personen zunächst an die interne Meldestelle wenden, indem sie klare und leicht zugängliche Informationen über das Meldeverfahren zur Verfügung stellen.
  • Anonyme Meldungen: Während im ursprünglichen Entwurf nur vorgesehen war, dass sich die Meldestellen auch mit anonymen Meldungen befassen sollen,  wurde der Gesetzesentwurf im Rechtsausschuss insofern geändert, als dass sich die Meldestellen auch mit anonymen Meldungen beschäftigen müssen und Meldekanäle bereitstellen müssen, die eine anonyme Kontaktaufnahme ermöglichen.
  • Offenlegung: Hinweisgebende Personen sollen sich nur unter engen Voraussetzungen mit ihren Informationen an die Öffentlichkeit wenden dürfen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ansonsten die Gefahr besteht, dass Beweismittel unterdrückt werden, irreversible Schäden drohen oder wenn sich die hinweisgebende Person bereits an eine externe Meldestelle gewandt hat und diese nicht die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat.
  • Vertraulichkeitsgebot: Die Meldestellen haben die Identität der hinweisgebenden Personen sowie derjenigen Personen, die Gegenstand der Meldung sind, zu schützen. Die Identität dieser Personen darf grundsätzlich nur den Personen bekannt sein, die für die Bearbeitung der jeweiligen Meldung zuständig sind. Ausnahmen von dem Vertraulichkeitsgebot bestehen unter anderem, wenn eine Person vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Informationen meldet oder in einem Strafverfahren auf Verlangen der Strafverfolgungsbehörden.
  • Schutz vor Repressalien: Zum Schutz hinweisgebender Personen besteht das Verbot von Repressalien. Repressalien sind alle ungerechtfertigten Benachteiligungen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit einer Person, also zum Beispiel Kündigungen, Abmahnungen, Disziplinarmaßnahmen und Mobbing, die eine hinweisgebende Person infolge einer Meldung oder Offenlegung erleidet. Es gilt insofern eine Beweislastumkehr zugunsten der hinweisgebenden Person. So muss der Beschäftigungsgeber nachweisen, dass die Benachteiligung nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruhte.
  • Schadensersatzansprüche: Das HinSchG enthält zwei spezielle Schadensersatzvorschriften. Die hinweisgebende Person hat einen Anspruch auf Ersatz des durch einen Verstoß gegen das Repressalienverbot entstehenden Schadens und zwar auch, wenn es sich um einen Schaden handelt, der nicht Vermögensschaden ist. Allerdings macht sich eine hinweisgebende Person auch schadensersatzpflichtig, wenn sie durch vorsätzliche oder grob fahrlässige Meldung oder Offenlegung einen Schaden verursacht.
  • Bußgelder: Verstöße gegen wesentliche Vorschriften des HinSchG stellen Ordnungswidrigkeiten dar und sind damit bußgeldbewährt. Für hinweisgebende Personen gilt dies, sofern sie wissentlich unrichtige Informationen offenlegen. Für Beschäftigungsgeber gilt dies beispielsweise, wenn sie keine interne Meldestelle einrichten, sie eine Meldung oder dort genannte Kommunikation behindern oder sie vorsätzlich oder leichtfertigt die Vertraulichkeit nicht wahren.

Was wird am Hinweisgeberschutzgesetz kritisiert?

Kritik an dem neuen Hinweisgeberschutzgesetz kommt unter anderem von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die den verbesserten Schutz für hinweisgebende Personen zwar begrüßt, aber für noch nicht ausreichend hält. Die GFF kritisiert insbesondere, dass Hinweise auf sonstiges Fehlverhalten, wie zum Beispiel Machtmissbrauch, und Verstöße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht vom sachlichen Schutzbereich des HinSchG umfasst sind. Problematisch sei auch, dass Geheimdienste vom HinSchG ausgenommen sind und Behörden Unterlagen als Verschlusssache einstufen können, wodurch das HinSchG nicht anwendbar ist.

Die CDU/CSU hingegen kritisiert, dass Unternehmen durch das HinSchG mit zusätzlichen Kosten und Bürokratie belastet würden, insbesondere durch die Pflicht zur Einführung anonymer Meldekanäle. Außerdem enthalte das HinSchG zu viele unbestimmte Rechtsbegriffe und das Verhältnis zu anderen Meldesystemen, wie nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, sei nicht geklärt. Ebenso sei das Verhältnis der externen Meldestellen zu anderen Behörden unkoordiniert. Das HinSchG sei daher rechtsunsicher und unpraktikabel und deshalb auch für Gerichte eine große Belastung.

Was sollten Unternehmen jetzt tun, um compliant zu sein?

  • Frühzeitig handeln: Da die Einführung eines Hinweisgebersystems komplex ist, sollten alle Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten bereits jetzt mit den Vorbereitungen zur Einrichtung professioneller Compliance-Strukturen beginnen. Dringender Handlungsbedarf besteht vor allem für Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten, da die Pflicht für sie bereits ab Inkrafttreten gelten wird.
  • Betriebsrat einbeziehen: Unternehmen mit Betriebsrat sollten wegen dessen Mitbestimmungsrechten eine längere Vorlaufzeit einplanen, da sie zunächst eine Betriebsvereinbarung schließen müssen.
  • Bestehende Systeme prüfen: Unternehmen, die bereits ein Hinweisgebersystem eingeführt haben, sollten prüfen, ob dieses den Anforderungen des HinSchG entspricht. Hierbei sind insbesondere Dokumentations- und Informationspflichten zu beachten. Zudem müssen die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) beachtet werden.
  • Digitale Lösungen nutzen: Eine besondere Herausforderung bei der praktischen Umsetzung besteht darin, dass Unternehmen ein System zur Verfügung stellen müssen, dass sowohl eine anonyme Kontaktaufnahme als auch eine anonyme Kommunikation mit der hinweisgebenden Person ermöglicht. Klassische Meldewege, zum Beispiel über einen Briefkasten oder eine E-Mail-Adresse, reichen hierfür nicht aus. Die gesetzliche Pflicht kann jedoch beispielsweise durch ein digitales Hinweisgebersystem schnell und einfach erfüllt werden.
  • Lösungen für kleine und mittelständische Unternehmen: Auch für kleine und mittelständische Unternehmen ist es möglich, preisgünstig ein Hinweisgebersystem zu implementieren, indem beispielsweise ein digitales System eingeführt und ergänzend mit einer externen Ombudsperson zusammengearbeitet wird.
  • Gute Unternehmenskultur: Besonders erfolgreich wird das System sein, wenn es in eine transparente und vertrauensvolle Unternehmenskultur eingebettet wird. Insbesondere dann liegt in der Einführung eines gut funktionierenden internen Hinweisgebersystems auch eine große Chance für Unternehmen, da hierdurch schnell auf Missstände reagiert werden kann und so Reputationsschäden abgewendet werden können.
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Dr. Nadine Kramer is a special counsel in Covington’s labor and employment law and executive compensation and employee benefits department. She has many years of experience in advising on labor law aspects with respect to M&A transactions, complex HR topics and reorganizations, especially…

Dr. Nadine Kramer is a special counsel in Covington’s labor and employment law and executive compensation and employee benefits department. She has many years of experience in advising on labor law aspects with respect to M&A transactions, complex HR topics and reorganizations, especially with a focus on negotiations with works councils, and a corresponding networking within the law firm as well. Furthermore, she has a great experience in drafting of social plans, evaluating of pension liabilities and managing labor law-related proceedings, especially with regard to wrongful termination litigations at all levels of seniority and management participation programs.

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Walter Born is a partner in the Frankfurt office. He advises clients on a variety of legal and business issues, with an emphasis on restructuring measures and the negotiation of reconciliation of interests and social plans, outsourcing transactions and German TUPE provisions, employee…

Walter Born is a partner in the Frankfurt office. He advises clients on a variety of legal and business issues, with an emphasis on restructuring measures and the negotiation of reconciliation of interests and social plans, outsourcing transactions and German TUPE provisions, employee data protection, dismissals (mass lay-offs) and related litigation, internal investigations, employee benefits and ERISA litigation. Walter counsels clients on employment advice, including drafting employment, managing directors’ and board members’ contracts and settlement agreements. He also has experience advising on collective labor law matters, and counsels on immigration matters, social security law, enforceability of post-contractual non-compete covenants and many other related matters. Walter Born is Managing Partner for Legal Personnel of the Frankfurt office.