Am 1. Januar 2023 wurde die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) für gesetzlich versicherte Arbeitnehmer[1] verpflichtend eingeführt. Bisher waren Arbeitnehmer dazu verpflichtet, ihrem Arbeitgeber die typische gelbe AU vorzuzeigen. Mit Inkrafttreten der neuen Regelung trifft nun die Arbeitgeber die Pflicht, die eAU digital bei der Krankenkasse abzurufen.
Die obligatorische Einführung für Arbeitgeber war ursprünglich schon für den 1. Juli 2022 vorgesehen. Nachdem es jedoch in der vorgelagerten Phase, in der Arztpraxen und Krankenkassen ihre Systeme an die neue Regelung anpassen sollten, Verzögerungen gegeben hatte, wurde die Pilotphase für Arbeitgeber bis zum 31. Dezember 2022 verlängert. In dieser Zeit sollte das neue System erprobt und so ein reibungsloser Übergang zum neuen System sichergestellt werden. Während die Arztpraxen sich inzwischen größtenteils auf die eAU eingestellt haben, bleibt allerdings zu befürchten, dass viele Arbeitgeber dennoch technisch und organisatorisch noch nicht in der Lage sind, um die eAU digital abzurufen.
I. Wie läuft das neue Verfahren ab?
- Meldung von Arbeitnehmer an Arbeitgeber: Arbeitnehmer bleiben weiterhin dazu verpflichtet, dem Arbeitgeber unverzüglich ihre Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer mitzuteilen (Anzeigepflicht nach § 5 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG)). Während Arbeitnehmer früher verpflichtet waren, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform beim Arbeitgeber einzureichen (Nachweispflicht), trifft Arbeitnehmer nun nur noch die Pflicht, die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer feststellen und sich eine Bescheinigung aushändigen zu lassen (Feststellungspflicht nach § 5 Abs. 1 lit. a EFZG).
- Datenübermittlung von Arzt an Krankenkasse: Stellt der Arzt die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers fest, übermittelt er bis spätestens 24:00 Uhr die notwendigen Daten elektronisch an die Krankenkasse des Arbeitnehmers.
- Anfrage des Arbeitgebers bei der Krankenkasse: Der Arbeitgeber wendet sich an die jeweilige Krankenkasse und stellt über deren Kommunikationsserver eine Anfrage nach der eAU.
- Bereitstellung eAU durch die Krankenkasse: Sobald die Krankenkasse die eAU auf ihrem Kommunikationsserver bereitstellt, erhält der Arbeitgeber hierüber eine Benachrichtigung und kann die eAU abrufen. Die Bereitstellung sollte in der Regel einen Tag nach dem Arztbesuch möglich sein.
II. Welche Pflichten und Rechte haben Arbeitgeber im Hinblick auf die eAU?
Grundsätzlich sind Arbeitgeber seit dem 1. Januar 2023 zum digitalen Abruf der eAU verpflichtet.
Arbeitgeber sind nur dann zum Abruf der eAU berechtigt, wenn der Arbeitnehmer sich zuvor krank gemeldet hat und noch beim Arbeitgeber beschäftigt ist. Eine pauschale Abfrage der eAUs aller Mitarbeiter ist somit nicht zulässig.
Bei andauernder Krankheit stellt die Folgebescheinigung einen neuen Prozess dar. Arbeitgeber müssen damit die eAU für die Folgebescheinigung neu abrufen.
III. Zu welchem Zeitpunkt macht ein Abruf der eAU Sinn?
Es macht für Arbeitgeber frühestens einen Tag nach dem Arztbesuch des Arbeitnehmers Sinn, die eAU bei der Krankenkasse anzufordern, da früher nicht mit einer Übermittlung durch den Arzt an die Krankenkasse zu rechnen ist.
IV. In welchen Fällen gilt die neue Regelung nicht?
Privatpatienten und Beihilfeberechtigte sind nicht von der eAU umfasst und erhalten damit weiterhin den klassischen „gelben Schein“, den sie beim Arbeitgeber vorlegen müssen.
Die neue Regelung gilt zudem nicht für Erkrankungen im Ausland, für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch Ärzte, die keine Vertragsärzte sind und für Arbeitgeber von Minijobbern in Privathaushalten.
In diesen Fällen ist der Abruf einer eAU durch den Arbeitgeber somit nicht möglich.
V. Welche Informationen beinhaltet die eAU?
In der eAU ist der Name des Arbeitnehmers, Beginn und Ende der Krankschreibung, das Datum der Feststellung der AU und eine Information darüber, ob es sich um eine Erst- oder Folgebescheinigung und ob es sich um eine Arbeitsunfall handelt, enthalten. Die eAU enthält weder Informationen über die Diagnose noch über den behandelnden Arzt. Letzteres ist für den Arbeitgeber aus mehreren Gründen nachteilig. Zum einen ist es für den Arbeitgeber hierdurch schwieriger zu überprüfen, ob eine Fortsetzungserkrankung im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG vorliegt. Zum anderen werden Indizien, wie beispielsweise die Diagnose psychischer Krankheiten durch einen Allgemeinmediziner, die darauf schließen lassen, dass der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit nur vortäuscht, dem Arbeitgeber nicht mehr bekannt. Früher konnte der Arbeitgeber zudem eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers anfordern, wenn der die Arbeitsunfähigkeit bescheinigende Arzt wegen der Häufigkeit der Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auffällig geworden ist und daher Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestanden. Die Kontrolle bei Auffälligkeiten obliegt nun den Krankenkassen.
VI. Wie läuft das Verfahren typischerweise bei Störfällen ab?
Bei technischen Störungen kann der Arbeitnehmer beim Arzt weiterhin den klassischen Ausdruck verlangen und diesen beim Arbeitgeber vorlegen und bei der Krankenkasse einreichen. Wenn die Praxis die Störung erst nach dem Besuch des Patienten feststellt, schickt sie einen Ausdruck der eAU per Post an die Krankenkasse, die die Daten dann durch einen abgedruckten Barcode digitalisiert. Arbeitgeber können die eAU dann erst ca. zwei Tage später als normalerweise abrufen. Auch in Störfällen dürfen Arbeitgeber von ihren Arbeitnehmern nicht verlangen, die ärztliche Bescheinigung vorzulegen, da diese die Diagnose enthält.
VII. Wann kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern?
Will der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verweigern, so muss er darlegen und beweisen, dass die Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts nach § 7 Abs. 1 EFZG vorliegen. Das heißt, er muss darlegen, dass der Arbeitnehmer seine Pflichten nach § 5 Abs. 1 und 2 EFZG nicht erfüllt hat.
- Privat versicherte Arbeitnehmer: Bei privat versicherten Arbeitnehmern bedeutet dies, dass Arbeitgeber, wie bislang auch schon, nachweisen müssen, dass die Arbeitnehmer ihrer Anzeige- oder Nachweispflicht nicht nachgekommen sind. Wenn Arbeitgeber keine AU erhalten, können sie somit die Entgeltfortzahlung verweigern.
- Gesetzlich versicherte Arbeitnehmer: Gesetzlich versicherte Arbeitnehmer trifft seit der Neuregelung jedoch keine Nachweis- sondern nur noch eine Feststellungspflicht nach § 5 Abs. 1a EFZG. Der Gesetzgeber hat den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 EFZG nicht ausdrücklich auf § 5 Abs. 1a EFZG ausgeweitet. Teilweise wird jedoch vertreten, dass Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung dennoch auch dann verweigern dürfen, wenn gesetzlich versicherte Arbeitnehmer ihrer Feststellungspflicht nach § 5 Abs. 1a EFZG nicht nachkommen. Dies ist wegen des eindeutigen Wortlauts jedoch eher abzulehnen. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber durch eine klare Regelung Rechtssicherheit schafft.
Sofern Arbeitgeber keine eAU erhalten, sind sie trotzdem zur Entgeltfortzahlung verpflichtet. Dies gilt auch dann, wenn sie die eAU wegen eines Störfalls, der außerhalb der Sphäre des Arbeitgebers liegt, nicht erhalten. Die neue Regelung ist daher nachteilig für den Arbeitgeber, da er das gesamte Risiko für Störfälle im Meldeprozess trägt.
- Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit: Wenn der Arbeitgeber nicht die Erfüllung der Feststellungspflicht, sondern das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit selbst bestreitet, kommt eine Einstellung der Entgeltfortzahlung in Betracht. Der Übermittlung der eAU durch die Krankenkasse kommt hierbei derselbe Beweiswert zu, wie bisher der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform. Kommt es zu einem Störfall, kann der Arbeitnehmer die ihm ausgestellte Bescheinigung in Papierform dazu nutzen, die Arbeitsunfähigkeit außerprozessual und prozessual nachzuweisen. Den Beweiswert der eAU bzw. der Bescheinigung muss der Arbeitgeber erschüttern, indem er tatsächliche Umstände vorträgt, die Zweifel an der Erkrankung ergeben. Solche Umstände liegen beispielsweise vor, wenn der Arbeitnehmer für einen Zeitraum, für den der Arbeitgeber die Urlaubsgewährung verweigert hat, seine Arbeitsunfähigkeit ankündigt.
VIII. Welche Vorteile bietet die neue Regelung für Arbeitgeber?
Arbeitgeber müssen sich nun selbst an die Krankenkassen wenden, um die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erhalten. Damit trifft sie zwar eine zusätzlich Pflicht, sie haben die Sache nun aber auch selbst in der Hand und sind nicht auf die Zuverlässigkeit ihrer Arbeitnehmer angewiesen.
IX. Was sollten Arbeitgeber nun tun, um den Umstieg reibungslos zu gestalten?
- Anpassung der internen Prozesse: Bislang wurden Fehlzeiten von Arbeitnehmern oft auf Grundlage des „gelben Scheins“ im Zeiterfassungssystem eingespeichert. Unternehmen sollten nun ihre internen Prozesse zur Erfassung von Fehlzeiten überarbeiten, damit die Informationen auch ohne den „gelben Schein“ korrekt erfasst und abgerechnet werden.
- Anpassung bestehender Arbeits- und Tarifverträge: Sofern in bestehenden Verträgen eine Nachweispflicht für gesetzlich versicherte Arbeitnehmer vorgesehen ist, steht eine solche Regelung im Widerspruch zur neuen Rechtslage und ist damit unwirksam (§ 12 EFZG). An die Stelle der Regelung tritt die neue gesetzliche Regelung, sodass nicht zwingend Bedarf zur Anpassung bestehender Verträge besteht. Sofern bestehende Arbeitsverträge nicht angepasst werden, ist es allerdings zu empfehlen, die Arbeitnehmer umfassend über die Gesetzesänderung zu informieren und hierbei insbesondere deutlich zu machen, für wen die Änderungen gelten.
Sofern Arbeitgeber bislang von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, Arbeitnehmer schon vor dem vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verpflichten und dies nun auf die Feststellungspflicht übertragen wollen, ist aus Gründen der Rechtssicherheit eine Anpassung der Arbeitsverträge zu empfehlen. Denn auch wenn vieles dafür spricht, dass die Verträge dahingehend ausgelegt werden können, dass der Tag, der bisher für die Nachweispflicht galt, nun für die Feststellungspflicht gilt, ist die Frage bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Bei einer solchen früheren Feststellungspflicht hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG).
- Empfehlungen beim Abschluss neuer Arbeits- und Tarifverträge: In den Fällen, in denen die eAU anwendbar ist, kann zukünftig nur noch eine Feststellungs- und keine Nachweispflicht der Arbeitnehmer mehr vereinbart werden. Hierbei ist es jedoch möglich, Arbeitnehmer dazu zu verpflichten, die Arbeitsunfähigkeit bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit feststellen zu lassen. Es ist zu empfehlen, in der Klausel zur Arbeitsunfähigkeit ausdrücklich auf die Unterschiede zwischen privat und gesetzlich versicherten Arbeitnehmern, sowie auch auf die anderen Fälle, in denen die Neuregelung nicht gilt, hinzuweisen.
- Einstellungsbögen bei Minijobbern erweitern: Da auch Minijobber von der Regelung erfasst sind, sollte in Einstellungsbögen künftig auch vorgesehen sein, dass Minijobber Angaben zu ihrer Krankenkasse machen. Bei bestehenden Arbeitsverträgen auf Minijob-Basis sollten Arbeitgeber die Informationen über die Krankenkassen nachträglich einholen.
[1] Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dem Text das generische Maskulinum verwendet.